Wie grün kann Stahl werden

25.1.2023

Heute mit der Bahn zur Arbeit gefahren? Heute schon die Heizung aufgedreht? Heute schon telefoniert? Es gibt einen Werkstoff, der wie kein anderer dafür verantwortlich ist, dass wir unseren Alltag so gestalten können, wie er ist: Stahl. Es gibt kein Produkt, das nicht entweder selbst aus Stahl gefertigt ist oder in seiner Herstellung durch Stahlprodukte bearbeitet oder bewegt wurde.
Stahl ist aber nicht gleich Stahl. Es gibt ihn in unterschiedlichsten Legierungen (sprich Mischungen des Hauptelements Eisen mit Kohlenstoff und anderen Elementen) und Ausführungen. Eines trifft aber immer zu: Stahl ist in seiner Herstellung enorm Energie- und CO₂-intensiv. Die weltweite Stahlproduktion von ca. 1,9 Milliarden Tonnen ist somit für etwa 10 % der globalen CO₂-Emissionen verantwortlich. Wäre das Material ein Land, würde es im Ranking der CO₂-intensivsten Nationen noch vor Indien auf Platz drei liegen.


In vielen Bereichen sind wir von Stahl abhängig, da er nicht substituierbar ist. Leider trifft das vor allem auf Anwendungsbereiche zu, in denen große Mengen verarbeitet werden. Die absolute Abhängigkeit von Stahl stellt die Weltbevölkerung im Hinblick auf die drohende Klimakrise vor eine massive Herausforderung. Warum ist es so schwer, Stahl auf eine ‚grüne‘ Weise herzustellen? Und welche weiteren Verstrickungen müssen berücksichtigt werden? Let’s get into it!


Die globale Stahlproduktion liegt, wie erwähnt, bei 1,9 Milliarden Tonnen. Davon werden etwa 25 % über die Recyclingroute, also das Wiedereinschmelzen von Stahlschrott in sogenannten Elektrolichtbogenöfen, hergestellt. Diese Route ist vergleichsweise emissionsarm und könnte bei Vorhandensein von grünem Strom fast zur Gänze klimaneutral realisiert werden. Die restlichen 75 % werden jedoch über die primäre Route, also die karbothermische Reduktion von Eisenerzen, produziert. Karbothermisch bedeutet in diesem Kontext, dass Kohlenstoff in temperaturintensiven Reaktionen mit Eisenoxid zu Eisen umgesetzt wird. Das hierfür weltweit eingesetzte Aggregat ist der sogenannte Hochofen. Eisenerze werden gemeinsam mit Koks (pyrolysierter Kohle) in den schachtähnlichen Ofen chargiert. Der Kohlenstoff verbrennt durch eingeblasene Luft zu Kohlenmonoxid und dieses tritt mit Eisenoxid in folgende Reaktion:


Fe2O3 + 3CO (g) = 2Fe + 3CO2 (g)


Soweit die Praxis. Aber wie kommen wir hier auf einen nachhaltigen Weg? Eine Möglichkeit wäre es, den Anteil des Stahlrecyclings zu erhöhen. Der aktuelle Bedarf wäre damit allerdings nicht ansatzweise gedeckt. Also zurück zur Produktion aus Eisenerzen. Eine Möglichkeit, diesen Prozess CO₂-arm zu gestalten, ist die Reduktion mit Wasserstoff. Diese Variante ist aktuell die einzige, die auch in der Großtechnik diskutiert wird. Hierbei wird in speziellen Aggregaten gasförmiger Wasserstoff (H2) anstelle von CO als Reduktionsgas verwendet.


Fe2O3 + 3H2 (g) = 2Fe+3H2O (g)


Anstelle von klimaschädlichem CO₂ produziert man gasförmiges Wasser, welches keine Belastung für unser Klima darstellt.
Der Prozess selbst wird in mehreren Industrieländern derzeit erforscht und wird mittelfristig zur Verfügung stehen. Die größte Herausforderung hierbei ist die enorme Energiemenge, die für die Herstellung des Wasserstoffs notwendig ist. Diese kann man mithilfe einer überschlagsmäßigen Rechnung abschätzen. Wie in der chemischen Gleichung gezeigt, benötigt man für die Umsetzung von einem Teilchen Fe2O3 drei Teilchen H2. Daraus entstehen zwei Teilchen Eisen – das Verhältnis von produziertem Eisen zu eingesetztem Wasserstoff beträgt demnach genau 1,5.
Setzt man die Molmassen (spezifische Masse pro Molekülmenge) in die Gleichung ein, so kann man den Bedarf an Wasserstoff pro Tonne produziertem reinem Eisen errechnen. Das gewonnene Eisen muss anschließend im Prozess mit kleinen Mengen Kohlenstoff versetzt werden, um die geforderten Qualitäten zu erreichen.


Rechnungen DE green steel

Für eine Tonne Reineisen benötigt man mindestens 54 kg Wasserstoff. Dieser Wert stellt das thermodynamische Minimum dar – es ist nicht möglich, die Reaktion mit einer kleineren Menge zu bewerkstelligen. Jeder reale Prozess wird also vom tatsächlichen Bedarf an Wasserstoff über dieser Menge liegen. Wird dieser Wasserstoff grün hergestellt, so wäre der Prozess theoretisch klimaneutral. Das derzeit verbreitete Verfahren für die Herstellung von grünem Wasserstoff ist die Elektrolyse. Hier wird Wasser in seine Bestandteile Wasserstoff und Sauerstoff zerlegt. Der Energieträger ist Strom – und wenn dieser CO₂-neutral bereitgestellt wird, spricht man von grünem Wasserstoff.

Sehen wir uns diese Situation für den Industriestandort Österreich an. Die Rohstahlproduktion in Österreich liegt bei etwa 7,2 Millionen Tonnen jährlich. Prozessbedingt und auch aus Gründen der Kreislaufwirtschaft liegt der Schrotteinsatz, also das Recycling von alten Stahlteilen, bei etwa 20 % der Gesamtstahlmenge. Legt man diesen Schrottanteil auf die gesamte Produktionsmenge um,  werden in Österreich jährlich etwa 5,8 Millionen Tonnen Roheisen produziert, die in nachfolgenden Schritten zu Stahl weiterverarbeitet werden.

Für 5,8 Millionen Tonnen Roheisen ergibt sich eine benötigte Wasserstoffmenge von etwa 312.000 Tonnen. Wasserstoff hat einen spezifischen Energieinhalt von 33,6 kWh/kg. Stellt man diesen im Elektrolyseverfahren her, so fallen Umwandlungsverluste an. Derzeit liegt der Wirkungsgrad von Elektrolyseuren bei etwa 70 %. Durch Multiplikation dieser drei gegebenen Größen berechnet sich die überschlagsmäßige Mindestenergiemenge in Form von Strom mit 15,0 TWh. Würde man diese beispielsweise mit Windenergie decken wollen, so ergibt sich bei typischen Volllastwerten von 2300 Stunden pro Jahr ein Bedarf von 1627 Windrädern mit 4 MW. Dies stellt wie bereits beschrieben das absolute Minimum dar - welches schon aus der Definition heraus nicht erreicht werden kann.


Der Prozess eines Stahlwerks besteht jedoch nicht nur aus dem Reduktionsschritt, sondern aus einer komplexen Zusammenführung unterschiedlichster Prozessschritte. Diese reichen von der Erzaufbereitung über die Roheisen- und Stahlerzeugung sowie Gieß-, Walz- und Veredelungsverfahren. Soll ein Stahlwerk am Ende klimaneutral produzieren, so müssen alle Energie- und Wärmeeinträge über grünen Strom und grüne Gase eingebracht werden. Der österreichische Stahlhersteller voestalpine veröffentlicht hierzu einen Strombedarf von 33 TWh für die langfristige Umstellung seiner Werke.

Ist das viel? Ja, diese Energiemenge ist enorm. Der geplante Ausbau an Kapazitäten erneuerbarer Energien in Österreich bis 2030 liegt bei nur 27 TWh. Was also nun? Sollen wir mit der Stahlproduktion aufhören? Diese Idee ist völlig abwegig, da Stahlprodukte vor allem in infrastrukturellen Einsatzgebieten nicht substituierbar sind. Es bleibt schlicht die Möglichkeit, Stahl langfristig auf klimaneutrale Weise zu produzieren.


Man muss hier die physikalischen Grenzen anerkennen und viele Energieoptimierungsmaßnahmen nutzen, vor allem im branchenübergreifenden industriellen Zusammenspiel. Die Grundgesetze des Universums legen der technischen Entwicklung Grenzen auf – das Ziel von intelligenten Optimierungen ist es, so nahe wie möglich an diese Grenzen heranzukommen. Was es zudem weiterhin sehr dringend braucht, ist ein massiver Ausbau erneuerbarer Energien.


Ein Trostpflaster lässt sich jedoch ausmachen: Die globale Gesellschaft wird sich immer weiter an einen Punkt der Sättigung an recycelbaren Materialien annähern. Zu diesen gehört auch Stahl. Somit wird man immer weniger „neuen“ Stahl aus Erzen gewinnen müssen, was mit einem signifikant geringeren Energiebedarf einhergeht. Bis dahin bleibt die Wasserstoffreduktion, zumindest voraussichtlich, das Mittel der Wahl für grünen Stahl.

Photo of Lukas Höber
Lukas Höber - Sustainability Consultant ICT Impact GmbH

Die weltweite Stahlproduktion von ca. 1,9 Milliarden Tonnen ist somit für etwa 10 % der globalen CO₂-Emissionen verantwortlich. Wäre das Material ein Land, würde es im Ranking der CO₂-intensivsten Nationen noch vor Indien auf Platz drei liegen.