Welches Potenzial bietet die Zementindustrie bei der Nutzung von erneuerbarer Energie?

13.8.2024

Beton ist das Fundament unserer modernen Infrastruktur – von Wohnhäusern über Straßen bis hin zu Windkraftanlagen. Die Herstellung von Zement, einem Hauptbestandteil von Beton, wird im Zusammenhang der Energiewende meist vorrangig als Problembereich dargestellt. Und obwohl die hohen Emissionen, die zu einem großen Teil prozessbedingt anfallen, beträchtlich sind, wollen wir auf die Potentiale von Zementwerken im Kontext der Nutzung von erneuerbaren Energien eingehen.

Wir berechnen, in welcher Dimension Photovoltaik vorhanden sein muss, um Zement ausschließlich mit erneuerbarer Energie zu produzieren. Zudem stellen wir die Frage: Welches wirtschaftliche Potenzial steckt in Load Shifting, welches die volatileren Versorgungssituationen ausgleichen könnte?

Die Herstellung von Zement ist enorm energieintensiv

Die Herstellung von Zement ist ein industrieller Prozess, der auf der Verarbeitung von Kalkstein aufbaut. In Zementwerken werden große Mengen an Steinen verarbeitet, der zu einem feinen Pulver gemahlen, mit anderen Materialien vermischt und erhitzt wird.

Nach einer Studie des deutschen Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz beträgt der durchschnittliche Energiebedarf pro Tonne Zement etwa 900 kWh. Etwa 90% davon sind thermische Energie, der Rest elektrische.

Um diese Zahlen zu kontextualisieren, wollen wir ein Gedankenexperiment machen.

Wie viel Photovoltaik brauchen wir (theoretisch) um Zement erneuerbar zu produzieren?

Für die Berechnung, ob Zement mit erneuerbarer Energie hergestellt werden kann, gehen wir der Einfachheit halber davon aus, dass wir elektrische sowie thermische Energie durch Strom aus einer Photovoltaik Anlage beziehen.

Wie groß müsste eine Photovoltaik Anlage also sein, um ein Zementwerk “autark” zu machen? Laut der Studie des deutschen Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz gibt es in Deutschland 53 Produktionsanlagen. Bezogen auf den Gesamtenergiebedarf ergibt dies 578,2 GWh pro Anlage (im Durchschnitt). Mit Hilfe von pvgis können wir nun die notwendige Größe einer PV-Anlage in Österreich ermitteln, die diese Energiemenge über ein Jahr liefern würde. Daraus ergibt sich eine Fläche von 7,89 km² an Photovoltaik Modulen, um die für ein einziges Zementwerk erforderliche Menge an Solarstrom zu produzieren. Zur Veranschaulichung projizieren wir die Fläche an Photovoltaik Modulen neben ein Zementwerk in der Nähe von Wien.

Diese Fläche an Photovoltaik Modulen würde zur Deckung des Energiebedarfs eines durchschnittlichen Zementwerks benötigt.

Diese Fläche ist etwa 3x so groß wie der erste Bezirk Wiens. Natürlich ist es schwierig, ein solches Megaprojekt umzusetzen, jedoch ist eine Photovoltaik Anlage in dieser Dimension keine vollkommen unrealistische Vorstellung. Der weltweit Größte Solarpark befindet sich in Indien und erstreckt sich über 56 km² mit einer Leistung von 2.245 MW. Zum Vergleich: ein Solarpark in dieser Größe würde in Österreich etwa 2.625 GWh an erneuerbaren Strom pro Jahr erzeugen und damit vier durchschnittliche Zementwerke versorgen.

Wenn wir den Druck zur Verbesserung der Nachhaltigkeit und die CO₂-Reduktionsverpflichtungen in die Waagschale werfen, werden solche Megaprojekte notwendig sein.

Um die hohe Energieintensität der Zementproduktion zu reduzieren und die CO₂-Emissionen zu minimieren, sind aber noch weitere innovative Lösungen gefragt. Neben der Abscheidung von CO₂-Emissionen (“Carbon Capturing”) und der laufenden Modernisierung der technischen Infrastruktur, sowie dem massiven Ausbau von erneuerbaren Energiequellen (z.B. PV- Anlagen) kann die bewusste Steuerung der Verbräuche im Sinne eines Energiemanagementsystems zu massiven Einsparungen führen. Letztere kann auch über das individuelle Zementwerk hinaus positiv auf die gesamtgesellschaftlichen Herausforderungen im Bezug auf den Ausbau von Erneuerbaren positiv genutzt werden. Zum Beispiel durch Load Shifting.

Potenzial von Load Shifting in der Zementindustrie

Erneuerbare sind nicht unbedingt dann verfügbar, wenn Energie verbrauchsseitig abgefragt wird, sondern wenn das Wetter passt. Was, wenn der Verbrauch auf die Verfügbarkeit von erneuerbarer Energie reagieren könnte? Ein großer Verbraucher kann, wenn er die entsprechende Flexibilität mitbringt, als “einseitiger Speicher” gesehen werden. Zwar kann die “eingespeicherte” Energie dem System nicht wieder entzogen und weiter genutzt werden. Allerdings kann erneuerbar erzeugte Energie, wenn sie im Überschuss vorhanden ist “eingespeichert” werden. Die Produktion von energieintensiven Prozessen findet dann statt, wenn Energie im Überfluss vorhanden, billig und mit einem geringen CO₂-Fußabdruck ausgestattet ist. Hier sprechen wir von sogenanntem Load Shifting.

Was versteht man unter Load Shifting?

Load Shifting bezeichnet die zeitliche Verlagerung von energieintensiven Prozessen in Phasen, in denen Strom günstiger und nachhaltiger verfügbar ist. In der Zementindustrie, die aufgrund ihrer hohen Energieintensität besonders geeignet für solche Maßnahmen ist, bietet Load Shifting ein erhebliches Potenzial. Durch die Optimierung der Produktionszeiten in Abhängigkeit von der Verfügbarkeit erneuerbarer Energien kann ein Unternehmen nicht nur seine Energiekosten minimieren, sondern auch aktiv zur Stabilisierung des Stromnetzes und zur Reduktion von CO₂-Emissionen beitragen.

Welches wirtschaftliche Potenzial steckt in Load Shifting?

Angenommen, ein Zementwerk betreibt drei Mühlen – eine Rohmühle und zwei Zementmühlen – die alle für Load Shifting infrage kommen. Jede dieser Mühlen hat einen Energiebedarf von etwa 1-2 MW und kann mit einer kurzen Vorlaufzeit von etwa 30 Minuten aktiviert werden. Das Potenzial von Load Shifting liegt darin, diese Mühlen während der Zeiträume zu betreiben, in denen ein Überangebot an erneuerbarem Strom im Netz besteht, wodurch der Strompreis sinkt.

Wählen wir einen beliebigen Tag (hier der 12. August 2024) aus, können wir die Preise an der EPEX SPOT Börse in Österreich auswerten. Die Differenz zwischen den teuren Stunden (ca. € 140,- pro MWh) und den günstigen Stunden (ca. € 20,- pro MWh) betrug an diesem Tag ca. € 120,- pro MWh.

Preise an der EPEX SPOT Börse für Österreich vom 12. August 2024

Aus der Praxis wissen wir, dass die Betriebszeiten der Mühlen im Durchschnitt um vier Stunden verschoben werden können. Daraus ergibt sich ein Einsparungspotenzial von € 480,- pro Tag und Mühle und somit € 1.440,- pro Tag bei drei aktiven Mühlen. Auf ein Jahr hochgerechnet, können bei einem kontinuierlichen Load Shifting Einsparungen von € 525.600,- mit drei aktiven Mühlen erzielt werden. Diese Berechnungen basieren auf konservativen Annahmen und berücksichtigen noch keine variable Netztarife, was das wirtschaftliche Potenzial des Load Shiftings weiter verdeutlicht.

Zusätzlich zur Kostensenkung trägt die Verlagerung der Produktion in Zeiten hoher Verfügbarkeit erneuerbarer Energien zur Entlastung des Stromnetzes bei und fördert eine effizientere Nutzung dieser Ressourcen. Dies zeigt, dass Load Shifting nicht nur wirtschaftlich attraktiv ist, sondern auch einen wichtigen Beitrag zur Energiewende leisten kann.

Warum macht das bis jetzt noch keiner?

Das vorgeschlagene Vorgehen kennt die Industrie bereits aus der sogenannten Regelenergie. Hier werden große Lasten in kurzen Zeiträumen aktiv so geschalten, dass Asymmetrien im Energienetz ausgeglichen werden können. Hier handelt es sich um einen weiteren Energiemarkt. Die Teilnahme daran bedingt aber zumeist, dass gewisse Lasten aktiv von außen geschalten werden können. Damit sind hohe Aufwände verbunden. Oft sehen Industrieunternehmen davon ab, an einem solchen Mechanismus teilzunehmen.

Eine laufende, manuelle Steuerung von Produktionsprozessen auf Basis von Preissignalen ist wesentlich weniger invasiv. Menschen können laufend entscheiden, ob und wie sie ihre geplanten Produktionsprozesse anpassen wollen, um einen ökonomischen und ökologischen Vorteil für ihr Unternehmen zu generieren. Damit sie das können, brauchen die Prozessverantwortlichen in den betreffenden Werken jedoch die entsprechenden Informationen - was soll ich wann wie anders machen? Und wie hoch ist der erwartete Vorteil, wenn ich das mache. Diese Information, sowie die Zeit, sich diese aus bereits verfügbaren Daten selbst zeitnah zu generieren, fehlt diesen Personen.

Ein Tool das dabei unterstützt, die Kommunikation von Marktsignalen mit der potenziellen Produktionsverschiebung fehlt. Korrektur: Fehlte. Denn wir liefern mit unserer Energiemanagementlösung nista ein solches Feature. Datenbasiert können Prozessingenieure zeitnah entscheiden, ob die durch unsere KI generierten Vorschläge von ihnen umgesetzt werden können. So, wie wir auf Mehrverbräuche hinweisen, weisen wir ebenfalls auf Einsparungen durch Verbräuche zu den richtigen Zeitpunkten hinweisen. Damit können unsere Kunden datenbasiert entscheiden, zu optimalen Zeitpunkten Energie zu verbrauchen und somit noch mehr Energiekosten und CO₂-Emissionen einsparen.

Auszug aus gefundenen Potenzialen in nista

Fazit und Ausblick

Die Zementindustrie arbeitet bereits auf Hochtouren daran, ihre Produktionsprozesse zu dekarbonisieren. Die Nutzung erneuerbarer Energien wie Photovoltaik und die Einführung von Load Shifting bieten nicht nur vielversprechende Ansätze, um den hohen Energiebedarf der Branche nachhaltiger zu decken, sondern auch noch gesamtgesellschaftlich an der stärkeren Nutzung von Erneuerbaren beizutragen.

Die Implementierung dieser Maßnahmen erfordert Investitionen und eine strategische Neuausrichtung. Unterstützt durch moderne Technologien wie KI-gestützte Energiemanagementsysteme, könnte die Zementindustrie jedoch nicht nur ihre Umweltbilanz verbessern, sondern auch langfristig ihre Wettbewerbsfähigkeit sichern. Der Weg zur klimaneutralen Zementproduktion ist zwar anspruchsvoll, aber machbar und notwendig, um den globalen Klimazielen gerecht zu werden.

Schlussbemerkungen

Möglicherweise wundern Sie sich über bestimmte Zahlen und Vereinfachungen in den Berechnungen, die wir hier vorgenommen haben.

  • Wir haben uns nur auf den Energiebedarf von Zementwerken konzentriert und die Emissionen, die während des Prozesses entstehen, ausgelassen. Sie sind von hoher Bedeutung und machen etwa zwei Drittel aus. Diese prozessbedingten CO₂-Emissionen müssen ebenfalls behandelt werden, aber das würde den Rahmen dieses Artikels sprengen.
  • Bei der Schätzung der Größe der PV-Anlage haben wir nicht zwischen den Energieformen unterschieden, die im Produktionsprozess benötigt werden. Der größte Teil dieser Energie ist Wärmeenergie und wird in Wirklichkeit durch die Verbrennung von Gas oder im besten Fall Abfällen erzeugt. Das bedeutet, dass eine realistische PV-Anlage, die rein zur Deckung des Strombedarfs ausgelegt ist, viel kleiner wäre.
  • Wir haben die Speicherung noch nicht berücksichtigt. Dies sind sowohl große Probleme als auch Chancen für ein solches Projekt. Einerseits müssten wir die Tatsache berücksichtigen, dass die Photovoltaik nicht immer in vollem Umfang zur Verfügung steht und daher die Produktionsleistung zeitweise reduziert werden muss.